Der Handel verändert sich. Riesige Konzerne mit enormer Macht dominieren immer mehr den Markt – Zehntausende kleinerer Unternehmen sind ausgeschieden. Es findet ein erbitterter Verdrängungswettbewerb statt, der überwiegend über Preiskämpfe, Öffnungszeiten und Flächenerweiterungen geführt wird. Der boomende Onlinehandel und eine zunehmende Konzentrationsentwicklung erhöhen den Wettbewerbsdruck.
Insbesondere der Einzelhandel ist zerklüftet. Grell glitzernde Einkaufsmeilen, Shoppingparadiese und Konsumpaläste auf der einen Seite – auf der anderen Seite Tristesse, Billigheimer, Ein-Euro-Shops und Leerstände in strukturschwachen Regionen, auf dem Land und nicht selten auch in zentralen Lagen der Städte. Zahlreiche Geschäfte etwa des Textil-Einzelhandels mussten während der Pandemie über Monate schließen oder durften nur mit Einschränkungen öffnen, während weite Teile des Online-Handels boomen und insbesondere der Lebensmittel-Einzelhandel Extraprofite einfährt.
Auch der stark mittelständisch geprägte Großhandel sieht sich großen Herausforderungen durch neue Wettbewerber insbesondere aus dem Bereich der Plattform-Ökonomie gegenüber. Zahlreiche Hersteller vertreiben ihre Produkte inzwischen über bekannte Online-Plattformen wie Alibaba, JD.com oder Amazon direkt an die Endkunden und umgehen so den Großhandel. Das verstärkt den Druck auf Unternehmenskonzentrationen und verdrängt kleinere Akteure aus dem Markt. Große Konzerne versuchen, ihre Stellung auf dem Markt durch Fusionen und Joint Ventures zu sichern – oft zulasten der Beschäftigten und der Arbeitsplätze. So kündigten Alliance Healthcare und GEHE Pharma Handel nach ihrem 2019 angekündigten Zusammengehen im März 2021 an, mehr als jede vierte ihrer Niederlassungen schließen zu wollen.
Der ruinöse Verdrängungskampf verändert nicht nur die Handelslandschaft, sondern hat vor allem auch tiefe Spuren bei den Beschäftigten hinterlassen. Im Einzelhandel wurden Vollzeitstellen massiv abgebaut, atypische Beschäftigungsverhältnisse überwiegen dort inzwischen. Die Arbeitsbedingungen haben sich immer mehr verschlechtert (Arbeitsbelastung, Stress, Arbeitszeitlage, graue Überstunden). Auch im Groß- und Außenhandel klagen die Beschäftigten über ständig wiederkehrende und oft körperlich belastende Tätigkeiten unter starkem Termin- und Leistungsdruck, oft genug in Schicht-, Wochenend-, Nacht- und Akkordarbeit.
Der ruinöse Wettbewerb wurde durch staatliche Deregulierung noch zusätzlich angeheizt. Die weitgehende Freigabe der Öffnungszeiten im Einzelhandel und die „Flexibilisierung“ des Arbeitsmarktes im Zuge der Hartz-Gesetze haben Schleusen geöffnet für Dumpinglöhne und den missbräuchlichen Einsatz von Leiharbeit und Werkverträgen.
Nach „außen“ prägen niedrige Preise, hohe Rabatte und wohlfeile Werbekampagnen das Bild des Handels – „innen“ dominieren in vielen Unternehmen prekäre Beschäftigung, zunehmender Leistungsdruck und untertarifliche Bezahlung. Für die Mehrzahl der Beschäftigten bietet sich eine ausgesprochen düstere Perspektive: Hunderttausende Menschen werden nach einem harten Arbeitsleben anschließend in Altersarmut „entlassen“. Der Handel ist heute eine Branche in der die Mehrheit der Beschäftigten akut von Altersarmut bedroht ist. Mit der Aufkündigung der Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge im Einzelhandel durch die Unternehmer im Jahre 2000 hat sich dieser Wettlauf weiter beschleunigt.
In einer aktualisierten Neuauflage unserer Broschüre „Verdrängungswettbewerb im Handel - Zwischen Preiskrieg, Tarifflucht und Altersarmut“ wollen wir zeigen, wie sich derzeit die Situation der Beschäftigten im Handel darstellt. Dabei werden auch die konkreten Auswirkungen der Tarifflucht analysiert. Dann wollen wir zeigen, welche Konsequenzen sich für die Betroffenen bezüglich ihrer Altersrente ergeben. Dabei wird untersucht, wie sich die Armutsgefährdung für einzelne Beschäftigtengruppen darstellt. Schließlich soll gezeigt werden, welche Auswirkungen der ruinöse Verdrängungskampf für Mittelstand, Hersteller, Verbraucher und Beschäftigte hat. Schlussendlich werden verschiedene Lösungsansätze vorgestellt.