Ring frei für Runde fünf!

Vor Verhandlungen in NRW: Die Beschäftigten machen deutlich, dass es höchste Zeit für einen Abschluss ist
31.08.2021
Streik bei Metro in Dortmund am 26. und 27. August 2021

Die Beschäftigten werden bereits seit dem 1. Mai hingehalten

Silke Zimmer, ver.di NRW

31. August 2021. Für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen geht es am Mittwoch bereits in die fünfte Verhandlungsrunde. Aufgrund der sturen Blockadehaltung der Arbeitgeberverbände zieht sich die diesjährige Tarifrunde im Handel bislang hin wie ein zähes Kaugummi. „Die Beschäftigten werden bereits seit dem 1. Mai hingehalten“, kritisiert die nordrhein-westfälische ver.di-Verhandlungsführerin Silke Zimme. „Anstatt am Verhandlungstisch zu einem Ergebnis zu kommen, haben die Arbeitgeber versucht, die Beschäftigten mit freiwilligen Vorweganhebungen abzuspeisen und so die Streiks zu brechen. Das ist ein einseitiges Lohndiktat und trägt absolut nicht zur Lösung des Tarifkonflikts und zu einem fairen Abschluss bei.“

Auch im Landesbezirk Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen (SAT) scheinen die Verhandlungen festgefahren zu sein. „Die Arbeitgeber haben in der dritten Verhandlungsrunde am 28. Juli kein verbessertes Angebot unterbreitet. Zwei Prozent für dieses Jahr sind deutlich zu wenig. Keine Bereitschaft, die Allgemeinverbindlichkeit mit zu beantragen, keine Angleichung der Laufzeiten, keine Regelung für Gewerkschaftsmitglieder, keine Aussage zu einem tariflichen Mindestlohn von 12,50 Euro und dann noch schlechtere Regelungen für sogenannte Corona-betroffene Unternehmen – Es ist ein Hammer, wie wenig Wertschätzung die Arbeitgeber ihren Beschäftigten gegenüber zeigen“, so ver.di Verhandlungsführer Jörg Lauenroth-Mago. „Nach der Ferienzeit werden die Streiks bis zur nächsten Verhandlungsrunde am 13. September weitergehen.“

 
Trauerzug für die Arbeitsplätze bei Hermes Fulfilment in Hamburg

Wut und Trauer bei Otto

Am 25. August legten die Kolleginnen und Kollegen bei der Otto-Tochter Hermes Fulfillment in Hamburg für 24 Stunden die Arbeit nieder. Die Otto Group hat von den wachsenden Online-Umsätzen stark profitiert – dieser Zuwachs ist den Beschäftigten zu verdanken, die unermüdlich ihren Job gemacht haben! Dennoch schließt der Retourenbetrieb am heutigen Dienstag, 31. August, für immer die Türen. 840 Kolleginnen und Kollegen verlieren ihren Arbeitsplatz. Dabei hatten sie seit vielen Jahren auf bis zu 13 Prozent Lohn verzichtet und im Gegenzug auf die Zusage vertraut, dass ihre Arbeitsplätze gesichert würden. Bei einem Trauerzug flossen viele Tränen der Wut und der Trauer, denn die Kolleginnen und Kollegen standen zum Teil seit über 30 Jahren zu „ihrem“ Unternehmen.

Bereits am 26. August wurde ab fünf Uhr morgens bei Hermes Fulfillment in Haldensleben gestreikt, es folgten zwei Kaufland-Filialen in Magdeburg und die E-Center in Schönebeck und Haldensleben. In Leipzig wurden drei H&M-Filialen zum Streik aufgerufen, und in Gera und Erfurt beteiligen sich Kolleginnen und Kollegen von mehreren Kaufland-Filialen und von IKEA am Streik. Gleichzeitig waren Beschäftigte aus den Kaufland-Filialen Kamenz, Hoyerswerda, Görlitz, Löbau, Zittau, Bautzen, Ebersbach und Großröhrsdorf sowie Ikea in Dresden im Streik. Auch beim Rewe-Lager in Buttenheim ging nichts mehr – denn: Ohne uns kein Handel!

 
Protest beim Handelsverband Ruhr-Lippe

Am Freitag 27. August, legten in NRW die Beschäftigten von mehr als 100 Handelsbetrieben die Arbeit nieder, unter ihnen Kolleginnen und Kollegen von Kaufland, Marktkauf, Edeka, Neukauf, H&M, Douglas, Primark, Ikea, Esprit, Saturn, TK Maxx, Smyth Toys, Zara, Real, Aldi, Galeria Karstadt Kaufhof, Sport Check, Rewe, Lidl, Posta Möbel Logistik, Bofrost und Schnellkauf. Vom Münsterland bis Duisburg, Düsseldorf, Remscheid, Ratingen oder Mühlheim zeigten sich die Kolleginnen und Kollegen mit verschiedensten Aktionen kämpferisch. Auch bei Galeria Kaufhof in Nürnberg wurde vergangenen Freitag gestreikt statt geschuftet!

Flächendeckend Streiks in Berlin und Brandenburg

Berlin und Brandenburg folgten am heutigen Dienstag. Ver.di hat die Beschäftigten des Einzelhandels in beiden Bundesländern zu flächendeckenden Streiks aufgerufen, um den Druck auf die Unternehmer zu erhöhen.

Die Inflation liegt schon jetzt bei 3,8 Prozent und könnte als Folge der Pandemie weiter steigen. Doch nach dem Angebot der Arbeitgeberverbände sollen die Beschäftigten Reallohnverluste hinnehmen: 2021 soll es zwei Prozent und frühestens ab Juli 2022 noch einmal 1,4 Prozent mehr Geld geben. Und das soll außerdem nur für die sogenannten „Gewinner“ der Branche gelten, also in den Unternehmen, die während der Pandemie teilweise Rekordgewinne eingefahren haben. Den „Verlierern“ wollen die Unternehmer die zweite Erhöhung von 1,4 Prozent erst im Januar 2023 (!) zahlen.

 

Das ist kein Fair Play den eigenen Beschäftigten gegenüber!

Conny Weißbach, ver.di Berlin-Brandenburg

„Seit Ende Juni verhandeln wir und die Unternehmen kommen zwei Monate später mit einem Vorschlag um die Ecke, der Reallohnverzicht für alle Verkäufer:innen bedeutet und nach wie vor die Tarifeinheit der Beschäftigten spalten soll“, weist Conny Weißbach, die ver.di-Verhandlungsführerin im ver.di-Landesbezirk Berlin-Brandenburg, das Ansinnen der Gegenseite zurück. ver.di hatte in der letzten Verhandlung angeboten, Beschäftigten die Option einzuräumen, die Lohnsteigerung vorübergehend in freie Tage umzuwidmen. „Das entlastet wirtschaftlich schwächere Unternehmen und stärkt die Gesundheit der Beschäftigten“, so Weißbach. Doch die Unternehmer wollten darauf nicht eingehen.

Schon jetzt machen sich die in der Folge der Pandemie durch kräftig steigende Preise für Lebensmittel, Mobilität und Mieten deutlich in den Portemonnaies der Beschäftigten und ihrer Familien bemerkbar. Die Unternehmen hingegen haben in der Pandemie teilweise sehr gut verdient. Im Lebensmittelhandel konnten sie 2020 die Umsätze um acht Prozent steigern, der höchste Wert seit 27 Jahren. „Diese Unternehmen können ihren Beschäftigten, die diese Superzahlen unter Pandemiebedingungen an der Kasse erwirtschaftet haben, keinen Reallohnzuwachs zahlen? Das ist kein Fair Play den eigenen Beschäftigten gegenüber“, so Conny Weißbach.