Der arbeitsfreie Sonntag ist aktuell einmal mehr in vielen Bundesländern unter Druck. In Bayern hat die Landesregierung einen ersten Entwurf für ein neues Ladenschlussgesetz beschlossen, in Hessen hat der Landtag das neue Ladenöffnungsgesetz verabschiedet, in Sachsen-Anhalt haben die Grünen die Landesregierung zur Änderung des Ladenöffnungszeitengesetzes aufgefordert, und in Schleswig-Holstein hat die FDP einen Entwurf für die Änderung des Ladenöffnungszeitengesetzes vorgelegt. Vier Bundesländer, drei unterschiedliche Namen für das im Kern gleiche Gesetz. Was sie eint, ist, dass es in allen Fällen um die Sonntagsöffnungen von sogenannten Digitalen Kleinstsupermärkten, Smart Stores oder auch vollautomatisierten Verkaufsflächen geht.
Neben den automatisierten und angeblich personalfreien Verkaufsstellen dreht sich die Auseinandersetzung jedoch auch um neue Versuche, den Sonntagsschutz auszuhebeln und die Arbeitszeiten zu erweitern. So sollte die Bäderverkaufsverordnung in Mecklenburg-Vorpommern an Schleswig-Holstein angeglichen werden, um mehr Ladenöffnungen an Sonntagen in touristisch viel besuchten Gebieten zu ermöglichen. Und das neue Ladenöffnungsgesetz in Bayern soll mehr sogenannte lange Einkaufsnächte und Einkaufsabende sowie Marktsonntage erlauben. Kurzum: mehr Sonn- und Feiertagsarbeit und mehr gesundheitsgefährdende Nachtarbeit.
ver.di hat zu den Sonntagsöffnungen eine klare Meinung. So schrieb Silke Zimmer, für den Handel zuständiges Mitglied des Bundesvorstands, im Frühjahr 2024 im „Magazin Mitbestimmung“ der Hans-Böckler-Stiftung: „Der freie Sonntag ist für die Beschäftigten des Einzelhandels der einzige planbar freie Tag in der Woche, um gemeinsame Zeit mit der Familie, mit Freundinnen und Freunden zu verbringen oder anderen Aktivitäten wie zum Beispiel einem Ehrenamt nachzugehen. Deswegen ist er so wertvoll und muss frei bleiben. Auch teilautomatisierte Supermärkte, sogenannte Smart Stores, müssen dem verfassungsrechtlich garantierten Sonntagsschutz unterliegen. Diese Läden, die nur vorgeben, personallos zu arbeiten, müssen von Beschäftigten am Wochenende beliefert, gewartet, überwacht und gereinigt werden.“
Während in einigen Bundesländern laut über Änderungen der Ladenöffnungsgesetze nachgedacht wird oder Änderungen bereits konkret in Arbeit sind halten beispielsweise Bremen, Hamburg, Nordrhein-Westfalen oder das Saarland an den bestehenden Öffnungszeiten fest und sehen derzeit keine Notwendigkit für ein neues Gesetz. Im folgenden Überblick seht ihr, wo gerade die aktuellsten Entwicklungen passieren. Der Bereich wird regelmäßig aktualisiert.
Gemeinsam mit unseren Bündnispartner*innen in der Allianz für den freien Sonntag setzen wir uns seit Jahren gegen die wiederkehrenden Versuche ein, den Sonntagsschutz auszuhebeln. Die Debatte um den einzig freien Tag in der Woche hat mit der Auseinandersetzung um die sogenannten Smart Stores an Fahrt aufgenommen.
Die Homepage der Alllianz für den freien Sonntag findet ihr hier.
Die bayerische Landesregierung hat am 23. Juli 2024 den Entwurf für ein neues Ladenschlussgesetzes beschlossen. Mit diesem soll es Betreibern von Digitalen Kleinstsupermärkten bis 150 Quadratmeter Verkaufsfläche erlaubt sein, ihre Verkaufsstellen rund um die Uhr an sieben Tagen in der Woche zu öffnen. Dazu kommen übers Jahr verteilt acht lange Einkaufsnächte und vier weitere Einkaufsabende. Anders gesagt: Die Kolleg*innen sollen an knapp einem Viertel der Wochenenden im Jahr gesundheitsgefährdende Nachtarbeit leisten. Und als wäre das nicht genug, sollen die Kommunen künftig selbst über sogenannte Marktsonntage entscheiden können, sowie über Sonntagsöffnungen in touristischen Hotspots.
ver.di Bayern kritisierte den Gesetzentwurf kurz nach dem Kabinettsbeschluss scharf. Erstens gefährde eine massive Ausweitung der Nachtarbeit die Gesundheit der Beschäftigten im Handel. Zweitens könnten bezüglich der Smart Stores von der Ausweitung der Öffnungszeiten in erster Linie die großen Handelsunternehmen profitieren, die es sich gegenüber kleinen Läden leisten könnten, an Sonntagen zu öffnen. Eine Folge wäre ein verschärfter Verdrängungswettbewerb zugunsten der großen Handelskonzerne. Und drittens gefährden die digitalen Kleinstsupermärkte Arbeitsplätze und die ländliche Infrastruktur, schrieb der bayerische Fachbereich Handel in einer Mitteilung am Tag des Beschlusses.
Die Katholische Abeitnehmer-Bewegung (KAB) Bayern lehnt die Pläne zu den Sonntagsöffnungen ab. Das Ladenschlussgesetz diene „nicht der Ausdehnung des Handels, sondern dem Schutz der Beschäftigten“, hieß es in einer Mitteilung. Der evangelische Kirchendienst in der Arbeitswelt (kad) Bayern kritisierte das Vorhaben ebenfalls und forderte, die Staatsregierung müsse „dringend eine Abschätzung der strukturellen Folgen für die Handelsbranche vornehmen und auch die kritischen Einwände von Kirchen und Gewerkschaften berücksichtigen“. Der Leiter des Katholischen Büros Bayern, Matthias Belafi, betonte, es sei egal ob die Kleintsupermärkte ohne Personal auskommen. "Ihr Betrieb an sich stört den Schutz des Sonntags." Weiter kritiserte er, das Bayern mit 150 Quadratmetern Verkaufsfläche, auf der das volle Warensortiment angeboten werden dürfe, mit seinem Gesetzentwurf noch weiter gehe als das neue hessische Ladenöffnungszeitengesetz.
KAB, kda und das Katholische Büro sind Bündnispartner von ver.di in der bayerischen Sonntagsallianz.
Der Landtag in Wiesbaden hatte am 10. Juli einstimmig die von der Regierung aus CDU und SPD sowie der oppositionellen FDP auf den Weg gebrachte Änderung des Ladenöffnungsgesetzes beschlossen. Danach dürfen vollautomatisierte Kleinstsupermärkte mit einer Verkaufsfläche von höchstens 120 Quadratmeter, die vorgeblich ohne Personal auskommen, künftig an Sonn- und Feiertagen Waren des täglichen Bedarfs feilbieten. In Bayern darf das komplette Supermarktangebot auf maximal 150 Quadratmetern angeboten werden. Im Wesentlichen geht es um die automatisierten "Teo-Märkte", die zum großen Handelsunternehmen TeGut gehören.
Der DGB Hessen-Thüringen hatte in einer Stellngnahme Anfang Juni den Gesetzentwurf deutlich abgelehnt. Die regelmäßige Sonntagsöffnung der angeblich personalfreien smarten Supermärkte löse ein Problem, das es nicht gibt, schrieb der DGB. Es gehe nicht um einen angeblichen Versorgungsengpass, sondern darum, den Händlern, die schon jetzt sonntags ausnahmsweise öffnen dürfen, Marktanteile abzujagen, konkret Tankstellen, Bäckereien, Kioske und Verkaufsstellen in Bahnhöfen. Diese sind personalintensiver und könnten sich gegen die automatisierte Konkurrenz der großen Handelsketten nicht behaupten.
Die hessische Sonntagsallianz kritisierte in ihrer Stellungnahme, die seit Januar 2024 regierende Koalition aus SPD und CDU lasse die Selbstverständlichkeit vermissen, mit der die Vorgängerregierung die Allianz etwa in Gesetzgebungsverfahren als kritische Stimme mit einbezogen hätte.
Hintergrund der nicht nur hinter vorgehaltener Hand „Lex Tegut“ genannten Gesetzesänderung in Hessen war ein Beschluss des Hessischen Verwaltungsgeirchtshofs vom Dezember 2023. Der 8. Senat hatte die Sonntagsöffnung der sogenannten Teo Smart Stores mit Verweis auf die verfassungsgemäße Sonntagsruhe verboten. Mit den Stimmen der Grünen, FDP und der AfD hat die Landesregierung zügig das neue Gesetz durchs Parlament gebracht. Nachdem in Hessen die Sonntagsöffnung der digitalen Kleinstsupermärkte gerichtlich geklärt ist, nahm auch anderswo die Debatte an Fahrt auf.
Nachdem in Mecklenburg-Vorpommern zum 1. Februar 2024 das neue Öffnungszeitengesetz in Kraft getreten ist, soll nun noch eine neue Öffnungszeitenverordnung umgesetzt werden. Diese bildet die Grundlage für vom Gesetz abweichende Ladenöffnungszeiten etwa in bestimmten Gemeinden oder Tourismusregionen. Laut dem Entwurf für die sogenannte Bäderregelung aus dem März sollen Sonderöffnungseiten für Tourismusregionen, Kurorte oder als Welterbestädte anerkannte Orte ermöglicht werden. Voraussetzung für die Erlaubnis, Verkaufsstellen an Sonn- und Feiertagen zu öffnen, ist der Nachweis einer hohen Zahl an Übernachtungsgästen und Tagesreisenden.
Darüber, ob dem Antrag einer Gemeinde auf Sonderöffnungen stattgegeben wird, entscheidet ein zu bildender Beirat. Dieser soll aus Vertreter*innen vom Tourismusverband, dem Hotel- und Gaststättenverband, den industrie- und Handelskammern und dem Handelsverband sowie ver.di und der evangelischen und katholischen Kirche bestehen.
Die neue Bäderregelung soll vorsehen, dass Sonderöffnungszeiten im Zeitraum vom 15. März bis 30. Oktober sowie zwischend em 17. Dezember und 8. Januar genehmigt werden können. Die aktuelle Verodnung sieht Sonderöffnungen erst ab dem 15. April vor. Nur ausnnahmsweise, wenn Ostern im März liegt, gilt sie bereits ab dem 15. März.
ver.di Nord hatte den Entwurf scharf kritisiert und Bedenken angemeldet, ob die neue Verordnung mit der Ausweitung auf den 15. März zum einen die im Grundgesetz festgelegten Vorgaben zum Sonn- und Feiertagsschhutz noch erfülle. Denn die Novelle hätte zur Folge, dass in den jeweiligen Gemeinden die Sonntagsöffnung nicht mehr die Ausnahme ist, sondern die Regel. Zum anderen sei fraglich, ob ein ausreichend gewichtiger Sachgrund für die Sonntagsöffnungen voliege. Diesen aber hatte das Bundesverfassunsgericht hatte in seiner wegweisenden Entscheidung im Jahr 2009 als zwingende Voraussetzung für Sonntagsöffnung gesehen.
In Sachsen-Anhalt forderte die Grüne Fraktion am 12. Mitte März per Antrag die Landeregierung auf, einen Entwurf für ein geändertes Ladenöffnungszeitengesetz vorzulegen, „in dem die Möglichkeit von Sonntagsöffnungen von vollautomatisierten Verkaufsflächen bis zu einer bestimmten Größe der Verkaufsfläche ohne den Einsatz von Personal im ländlichen Raum eröffnet wird und die entsprechenden Rahmenbedingungen geregelt werden“.
Gemäß dem seit 2006 geltenden Ladenöffnungszeitengesetz Sachsen-Anhalt (LÖffZeitG LSA) dürfen Vekaufsstellen an vier Sonntagen im Jahr geöffnet haben. Mit der letzten Änderung vom Dezember 2022 sind weitere Ladenöffnungen erlaubt "in Kur- und Erholungsorten sowie in Ausflugsorten mit besonders starkem Fremdenverkehr für den Verkauf von Reisebedarf sowie der Waren, die den Charakter des Ortes kennzeichnen". Die Händler*innen dürfen dabei selbst enntscheiden, ob sie an 40 Sonntagen für jeweils acht Stunden oder an allen Sonntagen für jeweils sechs Stunden zwischen 11 und 20 Uhr ihre Läden öffnen. Grundsätzlich von der Öffnung ausgenommen sind Karfreitag, Ostersonntag, Volkstrauertag und Totensonntag.
Die FDP-Fraktion im schleswig-holsteinischen Landtag brachte am 12. Mai 2024 einen Gesetzentwurf zur Änderung des Ladenöffungszeitengesetzes ein. Einziger Punkt: Vom gesetzlichen Verbot der Sonntagsöffnungen soll abgewichen werden können für vollautomatisierte Verkaufsstellen, "für deren Betrieb an den betreffenden Tagen beziehungsweise in den betreffenden Zeiten kein Verkaufspersonal eingesetzt wird". In diesen Verkaufsstellen sollen "Waren des täglichen Ge- und Verbrauchs" angeboten werden können. Anders als in Hessen oder Bayern sieht der Entwurf der FDP keine Beschränkung der Verkaufsfläche oder eine Eingrenzung, ich welchen Kommunen geöffnet werden darf, vor.
Der DGB und ver.di kritisieren in einer gemeinsamen Stellungnahme den Gesetzentwurf der FDP. Im Kern verschafft er vollautomatisierten Verkaufsstellen einen mehrfachen Wettbewerbsvorteil. Lohnkosten können gespart werden und gleichzeitig wird der Konsum zeitlich und räumlich völlig entgrenzt. Die verfassungsmäßige garantierte Sonn- und Feiertagsruhe wird ignoriert.
Zudem ist der FDP-Entwurf zu unbestimmt. Die Waren könnten in großzügiger Auslegung des "täglichen Ge- und Verbrauchs" von beispielsweise Lebensmitteln und Hygieneartikeln bis zu Bekleidung und Elektronik reichen - eben alles was man täglich "ge- und vebraucht". Bei engerer Auslegung sei hingegen nicht definiert, was denn Waren sind, die nur sonn- und feiertags "ge- und verbraucht" werden.
Auch der Personalbegriff wird nicht hinreichend definiert. Sind darunter alle Arbeitnehmer*innen zu verstehen, die mittelbar und unmittelbar am Verkauf beteiligt sind, wie es die Tarifverträge für den Einzelhandel vorsehen - also jegliches Personal? Oder sind damit in einer engeren Definition beispielsweise Verkaufberater*innen und Kassierer*innen gemeint, die in automatisierten Läden ohnehin nicht anzutreffen sein sollten?
Was vielleicht spitzfindig klingt, ist es ganz und gar nicht. Eine gesetzliche Regelung, die bei Verstoß Strafen nach sich ziehen kann, muss hinreichend bestimmt sein. Das heißt, wenn jemand wegen eines Verstoßes gegen ein Gesetz bestraft werden kann, muss deutlich sein, warum. Das gebietet das Rechtsstaats- und Demokratieprinzip. Und an eben dieser hinreichenden Bestimmtheit mangelt es dem Entwurf der FDP.
Letztendlich sehen DGB und ver.di keine Notwendigkeit für die hier von der FDP angestrebten umfassenden Ladenöffnungen, weil die Befriedigung des Bedarfs an Waren des täglichen Bedarfs hinreichend gedeckt ist.