Ein Dutzend gute Gründe für den Sonntagsschutz

Zwölf Argumente gegen Arbeit an Sonn- und Feiertagen
17.11.2020
Aktion für den freien Sonntag

ver.di verteidigt seit Jahren den arbeitsfreien Sonntag für Millionen Beschäftigte im Handel. Die Auseinandersetzung ging auch in der Pandemie weiter. Corona diente plötzlich als Argument dafür, das LÄden an Sonn- und Feiertagen geöffnet haben. Doch es gab viele gute Gründe, dem Druck nicht nachzugeben. Zwölf davon haben wir deshalb schon 2020 in einem Faltblatt zusammengestellt. Die meisten dieser Argumente bleiben über die Pandmie hinaus aktuell.

 

  • 1. Der Sonntag genießt den Schutz des Grundgesetzes.

    Im Grundgesetz ist der arbeitsfreie Sonntag besonders geschützt. Verkaufsoffene Sonntage dürfen deshalb in der Regel nur als Begleitung zu einem Fest, einer Feier oder einer Messe genehmigt werden. Das haben in den vergangenen Monaten auch fast alle angerufenen Fachgerichte so gesehen. ver.di klagt gegen verkaufsoffene Sonntage, die diesem Prinzip offensichtlich widersprechen – denn eine Öffnung ohne Anlassbezug würde dazu führen, dass an jedem Sonntag geöffnet werden könnte. Damit handelt die Gewerkschaft im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Die zuständigen Gerichte stellen immer wieder klar, dass sich der Sonntag deutlich von einem Werktag unterscheiden muss.

     

     

  • 2. Demokratie und Gesellschaft brauchen den Sonntag.

    Ohne die aktive Beteiligung möglichst vieler Menschen ist Demokratie nicht vorstellbar. Initiativen, Gruppen, Parteien, Organisationen leben von der Teilnahme an ihren Veranstaltungen, der Mitarbeit in ihren Gremien, der lebendigen Diskussion. Dafür braucht es Freiräume. Wenn es keinen Tag mehr gibt, an dem so viele Menschen wie möglich gleichzeitig frei haben, schränkt das die Beteiligung am gesellschaftlichen Leben ein. Auch deshalb finden Wahlen übrigens prinzipiell an Sonn- und Feiertagen statt. Denn nur so können möglichst viele Bürgerinnen und Bürger ihre Stimme direkt abgeben. Auch der Breitensport oder Kulturvereine leben von Beteiligung und leiden jetzt schon oft unter Nachwuchssorgen.

     

  • 3. Im Handel sind die Beschäftigten ohnehin schon sechs Tage in der Woche der Gefahr einer möglichen Ansteckung ausgeliefert. Sie brauchen den freien Tag.

    Die Pandemie und die Maßnahmen gegen ihre Ausbreitung haben dazu geführt, dass viele Beschäftigte schon seit Monaten bei ihrer Arbeit unter erheblichen zusätzlichen Belastungen leiden. Sie sind an sechs Tagen in der Woche gesundheitlichen Risiken ausgesetzt, da das Arbeiten im Verkauf, im Lager und bei der Auslieferung ohnehin schon mit höherer Ansteckungsgefahr verbunden ist. Auch im Großhandel muss der Sonntag als freier Tag geschützt bleiben. Die Beschäftigten in den Lagerstandorten sowie im Cash-und-Carry-Bereich und im Zustellgroßhandel arbeiten bereits jetzt unter schwierigen Bedingungen wie Schichtarbeit, schwerer körperlicher Arbeit und Leistungsverdichtung. In dieser Situation hat der arbeitsfreie Sonntag auch unter dem Gesichtspunkt der Gesundheit und Erholung sowie gemeinsamer Freizeit außerordentliche Bedeutung.

     

  • 4. Die Menschen können den Euro nur einmal ausgeben.

    Sonntagsverkäufe verschieben den Umsatz nur von den Werktagen auf den Sonntag. Denn nur, weil länger geöffnet ist, können die Menschen nicht mehr Geld ausgeben. Die Erwerbslosigkeit nimmt zu und Millionen Menschen sind in Kurzarbeit.

     

  • 5. Eine Verdichtung der Kundenströme am Sonntag kann zur Ausbreitung des Coronavirus beitragen.

    Einige Landesregierungen und der Bundeswirtschaftsminister begründen Sonntagsöffnungen damit, Kundenströme „entzerren“ zu wollen, um Infektionen zu vermeiden. Tatsache ist jedoch, dass Geschäftsöffnungen an Sonn- und Feiertagen in der Regel sogar zu einer Verdichtung der Kundenströme führen. Viele Händler locken die Kundinnen und Kunden an solchen Tagen mit besonderen Angeboten in die Geschäfte und Einkaufszentren. Es sollte jedoch das Ziel aller sein, dass es keine größeren Menschenansammlungen an bestimmten Orten gibt. Die Gefährdung von Menschenleben muss auf jeden Fall vermieden werden.

     

  • 6. Die Umsätze im Einzelhandel sind im ersten Halbjahr 2020 gestiegen.

    Sonntagsöffnungen sind zur Rettung des Einzelhandels nicht notwendig. Trotz Corona sind die Gesamtumsätze in der Branche im ersten Halbjahr 2020 um 0,8 Prozent gestiegen. Das ist nicht nur auf den Lebensmittelsektor zurückzuführen, sondern zum Beispiel auch auf Baumärkte und Geschäfte für Heimwerkerbedarf. Der Verkauf von Informations- und Kommunikationstechnologie legte ebenfalls deutlich zu. Und im Modehandel, der Einbußen verzeichnet, würde es bei vermehrten Sonntagsöffnungen nach allen bisherigen Erfahrungen nur zu steigenden Betriebskosten und Umsatzverlagerungen kommen.

     

  • 7. Die große Mehrheit kauft weiter lieber selbst im Geschäft, nicht nur online.

    Oft wird beklagt, dass die Geschäfte gegenüber Online-Angeboten ins Hintertreffen geraten. Mal abgesehen davon, dass viele Unternehmen längst selbst ihre Waren auch im Internet anbieten: Der Anteil des Internethandels am Gesamtumsatz des Einzelhandels wird nach einer Prognose des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2020 bei 11,2 Prozent liegen und bis 2023 auf 11,5 Prozent steigen.

    Der Internethandel ist also aus unserem Alltag zwar nicht mehr wegzudenken, aber der Besuch im Geschäft bleibt für die meisten Menschen vorrangig. Längere oder kürzere Ladenöffnungszeiten ändern daran nichts.

     

  • 8. Auch online keine Sonntagsarbeit

    Das Verbot von Sonntagsarbeit gilt prinzipiell auch für Internethändler. Die Kundinnen und Kunden können zwar ihre Bestellung aufgeben, bearbeitet wird sie aber im Normalfall erst am Montag. Im Dezember 2019 hat das Oberverwaltungsgericht Münster per Grundsatzbeschluss eine Amazon erteilte Genehmigung für Sonntagsarbeit aufgehoben: Der grundgesetzliche Sonntagsschutz habe Vorrang vor Lieferversprechen der Unternehmen.

     

  • 9. Die Ausweitung der Ladenöffnungszeiten verschärft die Unsicherheit der Beschäftigten

    Schaffen längere Öffnungszeiten neue Arbeitsplätze in den Geschäften? Die Erfahrung zeigt: Nein! Vielmehr gibt es immer weniger Vollzeitstellen. Im Jahr 1994, vor der Freigabe der Ladenöffnungszeiten, lag der Anteil der Vollzeitbeschäftigten im Einzelhandel noch bei über 50 Prozent, heute sind es nur noch 36,8 Prozent. Das führt zu Einkommen, von denen niemand leben kann, fördert unfreiwillige Teilzeit und geringfügige Beschäftigung.

     

  • 10. Die Tarifbindung im Einzel- und Großhandel liegt nur noch bei 28 Prozent bzw. 33 Prozent der Beschäftigten.

    Das Argument, dass die Beschäftigten Sonntagszuschläge erhalten, läuft ins Leere. Nur noch bis zu einem Drittel der Beschäftigten profitieren überhaupt noch unmittelbar von den Tarifverträgen der Branche und damit von den dort festgeschriebenen Zusatzleistungen. Wir brauchen deshalb dringend die Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge des Einzel-, Groß- und Außenhandels, damit Menschen von ihren Löhnen und Gehältern leben können – und nicht gezwungen werden, sich „freiwillig“ für Arbeit am Sonntag zu melden.

     

  • 11. Nicht das Verbot von Sonntagsöffnungen bedroht den Fachhandel, sondern die Ausweitung der Verkaufsflächen.

    Es gibt immer mehr Verkaufsflächen. Allein in den letzten fünf Jahren nahm ihre Gesamtgröße um 2,0 Millionen Quadratmeter zu. Davon profitieren die großen Handelsketten auf Kosten des kleinen Facheinzelhandels. Verkaufsoffene Sonntage lösen das Problem nicht, vielmehr verschärfen sie den Wettbewerb. Sie sorgen dafür, dass kleine Händler dem erhöhten Personalbedarf nicht angemessen nachkommen können und gegenüber den großen Ketten noch weiter verlieren.

     

  • 12. Ohne Sonntag gibt es nur noch Werktage.

    Die Hoffnungen des Handels, am Sonntag mehr Kundinnen und Kunden zum Besuch der Geschäfte bewegen zu können, ist kurzsichtig. Wenn die Läden am Sonntag und unter der Woche praktisch rund um die Uhr geöffnet haben, wird das den Unternehmern vieler anderer Branchen dazu dienen, die Arbeitszeiten der Beschäftigten noch weiter zu entgrenzen – denn diese brauchen den Feierabend ja nicht mehr, um noch einkaufen gehen zu können. So fallen die heute umworbenen Menschen morgen als Kundinnen und Kunden weg – während der Handel weiter die ausgeweiteten Öffnungszeiten vorhält, zu Lasten der Kolleginnen und Kollegen.

     

 

Es gibt also sehr viele gute Gründe, gemeinsam für arbeitsfreie Sonn- und Feiertage zu kämpfen!

 

Das Faltblatt als PDF