11. Oktober 2021. Unterstützt von der Rosa-Luxemburg-Stiftung ist vom 4.bis 8. Oktober 2021 eine Delegation aus Vertreterinnen und Vertretern von ver.di Handel sowie dem Gewerkschaftsnetzwerk TIE aus Deutschland und Brasilien in Südafrika mit der Landarbeitergewerkschaft CSAAWU (Commercial Stevedoring Agricultural & Allied Workers Union) zusammengekommen. Während des Aufenthaltes unweit der Metropole Kapstadt trafen sich die Teilnehmer*innen mit Arbeiter*innen, gewerkschaftlichen und betrieblichen Interessenvertreter*innen, besuchten Wohnstätten und konnten die Arbeitsbedingungen auf der Weinfarm Leeuwenkuil begutachten, einer der größten privaten Weinfarmen Südafrikas. Sie wurde unter dem derzeitigen Besitzer Willi Dreyer in den letzten Jahrzehnten von 45 auf über 7.000 Hektar vergrößert. Die von dort stammenden Weine finden sich auch im deutschen Handel.
Deutschland ist nach Großbritannien der zweitgrößte Importeur von Wein aus Südafrika und damit für die Branche von überragender Bedeutung. Die Preismargen entlang der Lieferkette sind jedoch extrem ungleich verteilt. Mehr als 60 Prozent des von den Verbraucher*innen bezahlten Preises teilen sich Discounter und abfüllende Kellereien in Deutschland. Nur etwa sieben Prozent landen bei den Winzern, bei den Arbeiter*innen schließlich kommen nur magere 1,4 Prozent des Ladenpreises bzw. ein Mindestlohn von 52 Euro pro Woche für 45 Stunden Arbeit an. Das liegt rund ein Drittel unter dem für die Existenzsicherung notwendigen Einkommen eines Haushalts in Südafrika. Maßnahmen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz wie Schutzkleidung gegen Pestizide, sanitäre Anlagen oder sauberes Trinkwasser auf der Arbeit gibt es kaum. 80 Prozent der Beschäftigten sind Saisonarbeiter*innen und Arbeitsmigrant*innen.
Auch das Leben außerhalb der eigentlichen Arbeit wird durch die Großgrundbesitzer bestimmt. Die Arbeiter*innen wohnen vielfach unter erbärmlichen Verhältnissen auf den Farmen. Ob sie mit Ehepartnern und Kindern zusammenleben dürfen, hängt vom Wohlwollen der Großgrundbesitzer ab. Die Farmen liegen weit außerhalb städtischer Infrastruktur. Der Zugang zu Schulen, Krankenhäusern und Behörden ist deshalb oft nur möglich, wenn der Farmer den Transport dorthin ermöglicht. Der Staat entzieht sich der Verantwortung, ein öffentliches Transportwesen zwischen den Farmen und der Stadt und damit zu öffentlichen Einrichtungen gibt es nicht. Gewerkschaftsarbeit ist unter diesen Bedingungen schwierig und wird vielfach durch Repression gegen Beschäftigte überschattet. Großgrund- und Farmbesitzer versuchen immer wieder Gewerkschaften zu kriminalisieren.
Vor diesem Hintergrund tauschte die Delegation in einem zweitägigen Workshop mit Betriebsräten und Interessenvertreter*innen Erfahrungen in der Organisierung von Beschäftigten in der Landwirtschaft und im Handel sowie über Entwicklungen in der Plattformökonomie und ihre Auswirkungen auf Arbeitsbedingungen entlang der Wertschöpfungs- und Lieferketten aus. Dabei berichteten die Vertreter*innen aus Deutschland und Brasilien von ihren Erfahrungen in der internationalen Zusammenarbeit im Rahmen des Orangensaftnetzwerks, an dem neben ver.di Handel auch Land- und Industriearbeitergewerkschaften aus Brasilien teilnehmen.
Davon ausgehend sollen nun die südafrikanischen Kolleg*innen mit Unterstützung brasilianischer Landarbeiter-Gewerkschaften in der Umsetzung von „Gesundheitsmappings“ und anderen gewerkschaftlichen Instrumenten geschult werden. Nach Piloterfahrungen auf Weinfarmen wird dann evaluiert, wie auf diese Weise sowohl gewerkschaftliche Mobilisierung und Verhandlungsmacht als auch Formen der internationalen Zusammenarbeit gestärkt werden können. Noch dieses Jahr wollen südafrikanische Beschäftigte dafür an einem internationalen Arbeitstreffen mit Landarbeiter*innen aus Brasilien teilnehmen.
Ein Anfang ist also gemacht. ver.di-Handel, CSAAWU und TIE haben vereinbart, ihre Zusammenarbeit entlang der Lieferkette Wein weiter auszubauen. Denn nur vereint wird es gelingen, die Arbeits- und Lebensbedingungen der Beschäftigten nachhaltig zu verbessern.
Am 16.-17. Februar 2022 findet in der Berliner ver.di-Zentrale die zweite internationale Konferenz mit dem Titel „International – Solidarisch – Stark: Gewerkschaftliche Arbeit entlang der Wertschöpfungs- und Lieferketten“ statt. Auf dieser Konferenz kommen aktive Kolleginnen und Kollegen aus Gewerkschaften unter anderem aus Brasilien, Südafrika, Südostasien und Deutschland zusammen. Die Konferenz von ver.di Handel findet in Zusammenarbeit mit der Friedrich-Ebert-Stiftung, Rosa-Luxemburg-Stiftung und tie statt.