Knausern in der Krise?
Im europäischen Vergleich zeigen sich die deutschen Einzelhändler in der Corona-Krise wenig großzügig
Deutschland ist europäisches Schlusslicht bei der Höhe des Kurzarbeitergeldes, wie das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) in einer aktuellen Studie festgestellt hat.
Der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Deutschland (HDE), Stefan Genth, hat am Mittwoch, den 15. April 2020, die am selben Tag gefassten Beschlüsse von Bundes- und Landesregierung kritisiert, die zur Eindämmung des Corona-Virus geschlossenen Geschäfte schrittweise wieder zu öffnen. Wenn nur kleinere Einrichtungen den Betrieb wieder aufnehmen dürften, führe dies zu „Wettbewerbsverzerrungen und Rechtsunsicherheiten“, klagte der Arbeitgeberchef und forderte eine „für alle Händler faire Regelung“ und Staatshilfen für die Handelsunternehmen.
Für die Beschäftigten interessiert sich Genth offenbar nicht, denn in der Pressemitteilung des HDE tauchen sie mit keiner Silbe auf. Dabei sind viele durch die Krise in existenzielle Nöte geraten, nachdem Unternehmen Kurzarbeit anmelden mussten.
Deutschland ist europäisches Schlusslicht bei der Höhe des Kurzarbeitergeldes, wie das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) in einer aktuellen Studie festgestellt hat:
- Während hierzulande von staatlicher Seite bei Kurzarbeit nur 60 bis 67 Prozent des Nettogehalts gezahlt werden,
- sind es in Irland, Dänemark und den Niederlanden 100 Prozent,
- in Österreich zwischen 80 und 90 Prozent (wobei die unteren Lohngruppen prozentual mehr Geld erhalten)
- und in Frankreich, Litauen, Polen, Portugal und Rumänien gibt es eine Mindesthöhe des Kurzarbeitergeldes, die dem gesetzlichen Mindestlohn entspricht.
Trotzdem lehnte der HDE schon Anfang April eine tarifvertragliche Aufstockung des Kurzarbeitergeldes ab – im Unterschied zu vielen anderen Branchen. Um nur zwei Beispiele zu nennen:
- In der Filmindustrie erhalten die Beschäftigten 100 Prozent ihres bisherigen Nettolohns.
- In der Systemgastronomie sind es 90 Prozent.
Und auch im Handel ist es ver.di und engagierten Betriebsräten in mehreren Unternehmen gelungen, eine Aufstockung der Finanzhilfen durchzusetzen.
ver.di im HandelDie Bundesregierung hat längst beschlossen, auf Sonderzahlungen wegen der Corona-Krise bis zu einer Höhe von 1.500 Euro keine Steuern zu erheben.
Während die Angestellten der geschlossenen Geschäfte und Warenhäuser um ihre Existenz bangen müssen, sind die Beschäftigten in Supermärkten und anderen Einrichtungen des Lebensmittel-Einzelhandels seit Wochen in nie gekanntem Ausmaß gefordert.
In Werbespots lassen die großen Ketten ihre Beschäftigten hochleben, bei Prämien für deren Leistung zeigen sie sich allerdings knauserig:
- Aldi etwa will Medienberichten zufolge zwischen 100 und 250 Euro in Form von Warengutscheinen ausgeben.
- Rewe will Vollzeitbeschäftigten 200 Euro auf ihren Mitarbeiterkarten gutschreiben (Filialleitungen kriegen das Doppelte), Real, Lidl und Penny kündigten ähnliche Schritte an.
- Metro will seinen Angestellten eine Warengutschrift in Höhe von 100 Euro gewähren.
Begründet wird der Verzicht auf die Auszahlung von Geld zumeist mit steuerlichen Gründen. Dabei hat die Bundesregierung längst beschlossen, auf Sonderzahlungen wegen der Corona-Krise bis zu einer Höhe von 1.500 Euro keine Steuern zu erheben.
Wieder einmal zeigen andere Wirtschaftsbereiche, dass es besser geht: In der Altenpflege haben sich ver.di und die Bundesvereinigung der Arbeitgeber in der Pflegebranche (BVAP) schon Anfang April auf eine Prämie in Höhe von 1.500 Euro verständigt. Vereinbart wurde außerdem, die Allgemeinverbindlichkeit dieses Tarifvertrages zu beantragen, sodass die Beschäftigten in allen Unternehmen der Branche eine solche Sonderzahlung erhalten.
Auch ein Blick über die Grenzen der Bundesrepublik zeigt, dass die Wertschätzung für die Beschäftigten im Einzelhandel durchaus größer sein kann als hierzulande:
- In Frankreich etwa kündigte mit Auchan Retail einer der größten Einzelhändler des Landes schon im März an, allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einmalig 1.000 Euro zu zahlen.
- Carrefour folgte und kündigte eine Überweisung in gleicher Höhe „als Anerkennung für ihren vorbildlichen Einsatz in den Geschäften, in den Lagern und im Online-Geschäft“ an.
- In Großbritannien erhöhte die Supermarktkette Tesco die Gehälter der Beschäftigten für März und April um zehn Prozent, Aldi folgte dort diesem Schritt.
- Spaniens Supermarktkette Mercadona kündigte sogar eine ebenfalls zeitlich befristete Gehaltserhöhung von 20 Prozent an.
- In Luxemburg überweist Cactus den Beschäftigten eine Prämie von 500 Euro zuzüglich einer schon zuvor tarifvertraglich vereinbarten Sonderzahlung von 200 Euro. Außerdem kündigte die Kette an, Überstunden im Zuge der Coronakrise mit einem Zuschlag von 100 Prozent statt wie üblich 50 Prozent zu vergüten.
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